In der vergangenen Zeit haben Bahnhöfe mein Leben bestimmt. Durch unseren Antiquitätenhandel waren wir sehr viel unterwegs. Anfangs habe ich meinen Mann zu Händlern, Messen und Museen gefahren, in den ersten Jahren fast immer. Später nahm er immer öfter die Bahn. Ich war immer auf Abruf. „Holst du mich mal vom Bahnhof in Heidelberg ab“? Ich glaube, es gibt kaum einen Bahnhof, den ich nicht kenne. Allerdings ist das schon über zehn Jahre her. Sicher hat sich viel verändert. Je moderner die Bahnhöfe, desto ähnlicher sahen sie sich, genau wie die Einkaufspassagen in vielen Städten. Schade, dass so wenig Rücksicht auf das ganz eigene Flair der Stadt genommen wird. Wahrscheinlich hatte da ein Architekt in der ganzen Bundesrepublik zugeschlagen.
Bahnhof ist für mich immer der Inbegriff einer Mischung von Hektik und endlosem Warten. Entweder stand ich gerade im Stau und versuchte verzweifelt noch den Zug zu erreichen, oder der Zug hatte Verspätung und ich musste mich in dieser kalten anonymen Atmosphäre aufhalten, die ich so gar nicht mag. Dann nutzte ich die Zeit, die Menschen zu beobachten.
Eine aufregende Mixtur von verkniffenen Gesichtern, dauernd auf die Uhr guckend, jenen, die genervt auf die Zeittafeln schauten. Andere, die sich einfach nur gelangweilt und ziellos die Zeit vertrieben. Menschen, die den Bahnhof als Treffpunkt mit Gleichgesinnten als Wärmestation nutzten, Drogis, die einen Euro für ihren Stoff sammelten und jeden Reisenden anbaggerten. Nicht zu vergessen, der Sicherheitsdienst und Polizei, die versuchten, genau diese vom Bahnhof fernzuhalten. Ausnahmezustand bei Fußballveranstaltungen, Reisende werden vor den betrunkenen Massen geschützt, so gut es geht.
Eine eigene Welt für sich, so ein Bahnhof. Auf kleinem Raum ein Sammelsurium von Menschen verschiedenster Couleur. Jeder mit seinem eigenem Ziel, seinem eigenen Weg. Jeder auf seiner eigenen Schiene. Sie führt ihn ins Unbekannte, ins Vertraute oder zu sich zurück.
Bahnhof – der Inbegriff des Abschieds und der Wiedersehensfreude, verschiedenster Emotionen. Ein Ort, an dem Freude und Leid so nah nebeneinander hergehen. Armut und Reichtum intensiv miteinander konfrontiert. Der Bahnhof war und ist für mich eine Konzentration des Lebenskarussells.
© Sabine Koss
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